Blick ins Auditorium (Foto: IfSG).
Findbuchübergabe zum Archivbestand des Schwäbischen Turnerbundes (Foto: IfSG).
Die Teilnehmer des Kolloquiums (Foto: IfSG).
Führung durch die Klosteranlage mit Dr. Hartmann (Foto: IfSG).
Eine Erfolgsgeschichte: 200 Jahre Turnen in Württemberg
Wie Gymnastik und Fitness in Hirsau entstand
Vor 200 Jahren ist in Calw-Hirsau Historisches geschehen: Fünf junge Männer gründeten den ersten Turnverein im Schwäbischen und legten damit den Grundstein für das Turnen in Württemberg. Aus diesem Grund feierten das Institut für Sportgeschichte Baden-Württemberg e.V., die Stadt Calw in Kooperation mit dem Schwäbischen Turnerbund an eben jenem Ort dieses Ereignis mit einer Tagung.
Es war der 18. Oktober 1816, also ziemlich genau vor 200 Jahren, als sich fünf junge Männer zum Turnen zusammenfanden. Mit ihrer Vereinsgründung bildet dieses Quintett den Ursprung für die heutige Turnbewegung von 683 000 Mitgliedern im Schwäbischen Turnerbund. Damals wie heute war einer der Grundgedanken die „Gesunderhaltung“ von Geist und Körper, also das, was heute Gymnastik und Fitness im Verein bekannt ist. Prof. Dr. Michael Krüger, an der Universität Münster für Sportpädagogik und Sportgeschichte verantwortlich, ließ in seinem Vortrag im Hirsauer Kursaal die Geschichte der fünf Jünglinge von 1816 wieder ein wenig lebendig werden. „Es ging ihnen um die Liebe zum deutschen Vaterland, aber natürlich auch um die Bildung von Kopf, Herz und Hand mit dem Ziel, Körper und Geist ins Gleichgewicht zu bringen“, sagte Prof. Krüger.
In seinem kurzweiligen Vortrag zeichnete Prof. Krüger daraufhin die Entwicklung der vergangenen 200 Jahre der schwäbischen Turnbewegung auf. Als roter Faden zog sich dabei der Begriff „public health“ und das Engagement für das Gemeinwohl durch die zwei Jahrhunderte. Durch die fünf jungen Männer aus Hirsau wurde also der Grundstein für die komplette heutige Sportbewegung gelegt – mit den diversen Sportarten, aber vor allen Dingen auch mit dem großen Ziel über allgemeine Bewegungsangebote unsere Bevölkerung fit zu machen beziehungsweise fit zu halten. „Zum Beispiel werden wir heute weltweit um unsere Struktur im Kinder- und Jugendsport beneidet. Quantitativ und qualitativ ist Bewegung im Verein das bedeutendste außerschulische Angebot bei uns“, erklärte Prof. Krüger.
Diese Aussage war wie Wasser auf die Mühlen der anwesenden Vereins und Verbandsvertreter. Nicht umsonst definiert sich zum Beispiel der Schwäbische Turnerbund (STB) bis heute wie folgt: „Vom Kinderturnen über den Wettkampf- und Spitzensport bis hin zu den vielfältigen Angeboten im Freizeit-, Fitness- und Gesundheitssport ist der STB als Fachverband in Württemberg zuständig für alle Sport- und Bewegungsangebote, die sich aus den vielseitigen Formen von Turnen und Gymnastik entwickelt haben und in seinen rund 1800 gemeinnützigen Turn- und Sportvereinen angeboten werden.“
STB-Präsident Wolfgang Drexler hatte zuvor in seiner Begrüßungsrede ebenfalls auf die historische Entwicklung Bezug genommen: „Erst wenn Du weißt wo deine Wurzeln sind, kannst Du deine Zukunft gestalten - lautet ein Sprichwort. In diesem Sinn können wir uns glücklich schätzen, dass das Institut für Sportgeschichte ins Leben gerufen wurde und dass wir mit Veranstaltungen wie die heutige Tagung zur kritischen Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit und unserer Zukunft ermutigt werden. So wurde hier in Hirsau ein elementarer Grundstein für das freiwillige und selbstorganisierte Sporttreiben ohne soziale Schranken gelegt. Heute, 200 Jahre später, sind die rund 11 000 Sportvereine in Baden-Württemberg ein elementarer Bestandteil unserer Zivilgesellschaft und aus dem gemeinschaftlichen Leben in den über 1000 Gemeinden nicht mehr wegzudenken.“ Dennoch forderte er die Tagungsteilnehmer zur kritischen Auseinandersetzung mit der Zukunft des Vereinswesens auf. „Wir stehen heute erneut an einem kritischen Wendepunkt in der Geschichte des Turnens und des selbstorganisierten, gemeinnützigen Sports“, mahnte er und hob in seinen weiteren Ausführungen auf das sich verändernde Sportverhalten in der Gesellschaft, die zunehmende Zahl an alternativen Sportanbietern und das Aufkommen neuer Formen der Vergemeinschaftung abseits der Vereinswelt ab. „Die Herausforderung ist, für die Menschen von heute und morgen weiterhin ein attraktiver Anbieter zu sein, in dem sie nicht nur passende hochwertige Sport- und Bewegungsangebote unter qualitativer hochwertiger Anleitung, sondern auch eine soziale Heimat finden.“
Beim Fazit waren sich STB-Vertreter Drexler und Prof. Krüger einig: „Wer sich die vergangenen 200 Jahre anschaut, erkennt: die erfolgskritische Konstante war die Veränderung.“ Das Turnen hat sich über die Jahre stets weiterentwickelt und präsentiert sich heute in vielfältigen Sport- und Bewegungsangeboten, gebündelt unter den drei Hauptbereichen Kinderturnen, GYMWELT und den Turnsportarten.
Weitere Vorträge rundeten das Programm ab: Prof. Dr. Annette Hofmann (PH Ludwigsburg) erläuterte am Beispiel des Frauenturnens, wie die Turnbewegung auch emanzipatorische Kraft entfaltete. Dr. Lothar Wieser (Mannheim) ging in seinem Vortrag auf die Turnerfeuerwehren ein und zeigte deren zivilgesellschaftliche Bedeutung auf. Schließlich ordnete der Calwer Stadtarchivar Dr. Karl Mayer die Turnvereinsgründung von Hirsau in die Ortsgeschichte ein. Im Rahmen der Veranstaltung konnte zudem Markus Friedrich (IfSG) dem STB das Findbuch zu dessen Verbandsarchiv überreichen. Die historischen STB-Unterlagen werden zukünftig im Hauptstaatsarchiv Stuttgart aufbewahrt werden.
Die Tagung in Hirsau wurde vom Institut für Sportgeschichte in Maulbronn und der Stadt Calw in Kooperation mit dem STB ausgerichtet. Rund 80 Interessierte aus Vereinen, Turngauen, Landesturnverbänden und anderen Organisationen folgten der Einladung. Die Vorträge der Veranstaltung werden in einer Tagungsdokumentation veröffentlicht werden.
Quelle: Schwäbischer Turnerbund/Hannes Haßpacher
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